Skinhead-Reportage: OStA will gesamtes Material

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Im Zusammenhang mit dem Filmmaterial, das auf Betreiben der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt beim ORF beschlagnahmt hätte werden sollen, hält es Werner Pleischl, der Leiter der Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien, für nötig, dass der ORF das gesamte Material herausgibt. "Ich bin überzeugt, dass man eine Lösung finden wird, die von ORF und der Justiz akzeptiert wird", so Pleischl. Sollte das scheitern, "werden wir die zwangsweise Durchsetzung bei Gericht beantragen".

Der Chef der OStA, der die Dienst- und Fachaufsicht über die Wiener Neustädter Anklagebehörde zukommt, zeigte sich "erstaunt, dass der ORF nicht alles tut, um alles aufzuklären". Wie Pleischl erläuterte, gehe es nicht nur darum, herauszufinden, ob für eine ORF-Reportage bei einer FPÖ-Veranstaltung gefilmte Jugendliche zu "Sieg heil"-Rufen angestiftet wurden und sich diese damit der NS-Wiederbetätigung schuldig gemacht hätten: "Es ist auch das Material von Bedeutung, das nicht gezeigt wurde, weil sich daraus weitere Verdächtige oder zusätzliche Tatbestandsmerkmale ergeben könnten".

Zugleich betonte Pleischl, "dass das Redaktionsgeheimnis ein verfassungsrechtlich geschütztes Gut ist, das wir wahren wollen und wahren werden". Falls "ein schützenswertes Geheimnis vorliege, werde die Informanten des betreffenden ORF-Journalisten "kein Nachteil erfassen". Der OStA-Chef unterstrich in diesem Zusammenhang, "dass das Redaktionsgeheimnis primär dem Schutz der Informanten vor öffentlicher Preisgabe ihrer Identität und ihrer Aussagen dient und nicht dem Schutz von Journalisten".

Die Medienrechtsexpertin Maria Windhager hält es für zulässig, dass der ORF der Justiz das gesamte Material und nicht nur die zur Ausstrahlung gelangten Szenen übergeben muss. "Die Entscheidung, ob das Material Beweisrelevanz hat, steht der Staatsanwaltschaft zu", meinte die Wiener Rechtsanwältin.

Sollte die Anklagebehörde dies im konkreten Fall bejahen, haben nach Ansicht Windhagers die infrage stehenden Aufzeichnungen und Datenträger gemäß § 112 Strafprozessordnung (StPO) versiegelt dem zuständigen Landesgericht Wiener Neustadt vorgelegt zu werden. Dort muss ein Richter beurteilen, ob die Daten Material enthalten, das dem Redaktionsgeheimnis unterliegt.

"In Wahrheit führt in der verzwickten Situation, die sich mittlerweile ergeben hat, kein Weg daran vorbei, dass sich das ein Richter anschaut", sagte die Expertin. Sollte sich der ORF weiter weigern, der Behörde die gesamten Bänder zu übergeben, "halte ich Beugestrafen gemäß § 93 StPO für wahrscheinlich", meinte Windhager. Über den ORF könnten dann Geldstrafen verhängt werden.

"Das Redaktionsgeheimnis ist sicherlich bedroht", kommentierte Windhager den aktuellen Verfahrensstand. Die - nicht sehr reiche - Judikatur zur gegenständlichen Problematik spreche allerdings eher für den Standpunkt der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt, verwies Windhager auf eine einige Jahre zurückliegende OGH-Entscheidung.

Damals hatte sich der ORF unter Berufung auf das Redaktionsgeheimnis geweigert, Filmmaterial über eine Demonstration herauszugeben, in deren Verlauf ein Denkmal beschädigt wurde.
Der OGH stellte fest, dass die Herausgabeverweigerung nicht vom Redaktionsgeheimnis gedeckt war und die extensive Interpretation des Redaktionsgeheimnisses dem Rechtsstaat mehr schade als nütze: Ein "öffentlich wahrnehmbares Geschehen" falle nicht unter das Redaktionsgeheimnis. Bei Filmaufnahmen von einem "allgemein zugänglichen Ereignis" stelle die Herausgabeverpflichtung keine Umgehung des Redaktionsgeheimnisses dar.

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